Professionelles Dolmetschen für die Polizei: Grundlagen

Blogbeitrag von Fabio Said

Ende September 2020 absolvierte ich das vom Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer veranstaltete Seminar „Dolmetschen für die Polizei“ in Köln. Referent dieses informativen Fortbildungsseminars war Dr. Holger Nimtz, Leitender Regierungsdirektor und Abteilungsleiter der Studienorte Köln und Aachen der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen. Der Referent ist außerdem Autor des nicht nur in Polizeikreisen bekannten 2-bändigen Lehrwerks „Strafrecht für Polizeibeamte“ und hat das Seminar mit vielen Erkenntnissen aus seiner langjährigen Praxis auf verschiedenen Ebenen des Polizeiwesens aufgewertet.

Ich habe als Justizübersetzer gelegentlich mit polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Angelegenheiten zu tun und wollte mir aus diesem Grund einen Überblick verschaffen über die Aufgabenbereiche und den verwaltungstechnischen Aufbau der Polizeibehörden. Das Seminar war genau das, was ich erwartet hatte.

Organisationsstruktur der Polizei in Deutschland

Zunächst erfolgte ein Überblick über die Organisation der Polizei in Deutschland. Es gibt in Deutschland 16 Polizeigesetze, deshalb haben die Polizeibehörden je nach Bundesland einen unterschiedlichen strukturellen Aufbau. In Nordrhein-Westfalen, wo mein Übersetzungsbüro für Portugiesisch ansässig ist, führt das Innenministerium Aufsicht über folgende Polizeibehörden:

  • Landeskriminalamt in Düsseldorf,
  • Landesamt für Aus- und Fortbildung (dazu gehört die Polizeihochschule) in Selm,
  • Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste in Duisburg und
  • die 47 Kreispolizeibehörden (darunter Polizeipräsidien), die die eigentlichen Auftraggeber für Dolmetscher sind.

Die Kreispolizeibehörde unterteilt sich in die Direktionen

  • ZA (Zentrale Aufgaben),
  • GE (Gefahrenabwehr/Einsatz),
  • K (Kriminalität) und
  • V (Verkehr).

Hinzu kommen Sondereinheiten wie beispielsweise SEK (Spezialeinsatzkommando), BP (Bereitschaftspolizei) oder DHF (Diensthundeführer).

Polizeiausbildung

Auch die Ausbildung ist landesspezifisch: Ein in NRW ausgebildeter Polizist darf nicht in Bayern tätig sein. In NRW sind Polizeibeamte studierte Fachkräfte und müssen einen Bachelorabschluss im Dualen Studium erwerben, während es in Baden-Württemberg und Bayern noch den mittleren Dienst im Polizeiwesen gibt. Gegenstand der Hochschulausbildung sind unter anderem Polizeiwissenschaften (darunter Kriminalistik) und Sozialwissenschaften (darunter Psychologie und Ethik). Master- und Promotionsstudiengänge werden hingegen an der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster absolviert.

Aufgaben der Polizei

Gemäß § 163 Strafprozessordnung ist die Polizei vorrangig damit beauftragt, Straftaten zu erforschen, diese Aufgabe wird von der Kriminalpolizei wahrgenommen. Darüber hinaus gibt es die Schutzpolizei (von der allgemeinen Bevölkerung bekannt als die „Leute in Uniform“), die für Sofortmaßnahmen zuständig ist. Das Ergebnis der polizeilichen Verhandlungen wird an die Staatsanwaltschaft oder auch direkt an das Amtsgericht weitergeleitet. Im Rahmen von Ermittlungen darf die Polizei nicht nur Vernehmungen, sondern auch beispielsweise Durchsuchungen und Telefonüberwachungen durchführen.

Dolmetschen für die Polizei aus rechtlicher Sicht

Laut dem Referenten unter Berufung auf eine Studie seien 34,6% der Tatverdächtigen im Jahr 2019 Ausländer gewesen.

Das bedeutet: Der Bedarf an Dolmetschern bei der Polizei ist da! Türkisch, Rumänisch, Syrisch und Polnisch seien die häufigsten Nationalitäten der nichtdeutschen Tatverdächtigen, Dolmetscher dieser Sprachen würden deshalb besonders häufig benötigt.

Oberstes Prinzip für die Tätigkeit der Justiz- und Polizeidolmetscher in Deutschland ist der Artikel 3 Grundgesetz, der besagt:

„Niemand darf wegen (…) seiner Sprache benachteiligt oder bevorzugt werden.“

Ferner wird sie in folgenden Gesetzestexten vorgesehen:

Die Rolle des Dolmetschers bei polizeilichen Vernehmungen

Das Dolmetschen für die Polizei findet vor allem in folgenden Situationen statt: Vernehmung, Festnahme (Verhaftung) und bei Strafanzeigen durch Verletzte (Opfer). Diese Situationen werden unter anderem in der Strafprozessordnung und in den „Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren“ geregelt.

Bei der (Beschuldigten- oder Zeugen)Vernehmung geht es um die Gewinnung von Informationen zur Sache. Gefragt wird zunächst im Allgemeinen, dann aber konkret.

Das so entstandene Vernehmungsprotokoll wird am Ende vor- oder selbst gelesen und unterschrieben. Im Fall von Unstimmigkeiten zwischen Protokoll und Verdolmetschung muss der Polizeibeamte dies entsprechend vermerken.

Dabei wird oft eine „Wort-für-Wort“-Verdolmetschung verlangt, aber wenn es nicht geht, soll der Dolmetscher kurz darauf hinweisen und den Interpretationsbedarf in Grenzen halten.

Die Neutralität des Polizeidolmetschers

Dass professionelle Dolmetscher neutral sein müssen, versteht sich von selbst. Dennoch werden die Neutralitätsgrenzen bei polizeilichen Vernehmungen oft überschritten.

Folgender Satz eines Polizeibeamten an einen Dolmetscher wurde in der Diskussionsrunde während des Seminars als Beispiel dessen genannt, was nicht geschehen darf: „Haben Sie den Beschuldigten bereits (in der Fremdsprache) belehrt?“ Dabei wird der Dolmetscher zwar als Ermittlungshelfer gesehen, ist aber dazu nicht befugt!

Andererseits kann der Satz auch so verstanden werden, dass das Belehrungsformular „aus dem Stegreif“ übersetzt werden soll – insofern findet dabei keine Verletzung des Neutralitätsgebots statt.

Trotzdem darf der Dolmetscher die polizeiliche Belehrung vor der eigentlichen Vernehmung (unter anderem über das Recht auf Schweigen und Verteidigung) nicht spontan durchführen, sondern erst nach ausdrücklichem Hinweis des Polizeibeamten.

Stresssituationen beim Dolmetschen für die Polizei

Polizeidolmetscher brauchen auch Nerven, denn ihre Arbeit kann in manchen Situationen in Frage gestellt werden. Dies kann ganz gezielt durch die Verteidigung erfolgen, um die Abweisung der Sache durch Diskreditierung des Dolmetschers zu erreichen, oder auch durch den Beschuldigten, der mit dem Satz „Ich verstehe den Dolmetscher nicht“ versucht, sich zu entlasten. Das verursacht natürlich viel Stress.

Einige Seminarteilnehmer haben jedoch berichtet, dass Polizeibeamte in solchen Situationen meistens sehr loyal sind gegenüber dem Dolmetscher.

TKÜ

Bei besonders schweren Straftaten wie Friedensverrat und Straftaten gegen die öffentliche Ordnung kann die Polizeibehörde eine TKÜ (Telekommunikationsüberwachung) anordnen. Für das Verständnis von fremdsprachlichen Inhalten werden auch hier Dolmetscher eingesetzt. Die TKÜ erfordert nicht nur interkulturelle Kompetenz und Expertenwissen (vor allem in den Bereichen Slang und Dialekte), sondern auch ein gewisses detektivisches Gespür und hohe Stresstoleranz.

Dabei werden vor allem Telefongespräche abgehört (daraus entstehen entweder Live-Verdolmetschungen oder übersetzte Gesprächsprotokolle), aber auch die Internetkommunikation (Chats) wird überwacht. Dolmetscher, die im Bereich TKÜ tätig sein möchten, müssen eine ständige Verfügbarkeit anbieten.

Honorare für Polizeidolmetscher

Zum Abschluss des Seminars wurde die Frage nach der Vergütung für Dolmetscher aufgegriffen. Das Honorar für Dolmetscher im Auftrag von Gerichten und Staatsanwaltschaften (Justizdolmetscher) wird im § 9 JVEG (Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz) festgelegt. Demnach verdienen Dolmetscher 85 Euro (ab dem 1. Juni 2025: 93 Euro) pro Stunde zuzüglich 19 % Umsatzsteuer (die bei professionellen Dolmetschern sehr wichtige Vorbereitung wird dabei nicht honoriert, Fahrtkosten nur minimal).

Das Dolmetschen bei der Polizei fällt jedoch nicht unter die Regelungen des JVEG. Mit Polizeidolmetschern werden stattdessen sogenannte Rahmenverträge bei deutlich niedrigeren Stundensätzen abgeschlossen. Es gehe dabei um die Kostenersparnis, sagte der Referent.

Außerdem arbeiten Polizeidolmetscher nicht selten im Auftrag von Vermittleragenturen und verdienen dabei nur noch einen Bruchteil des bereits niedrigeren Stundenhonorars, das die Polizei bezahlt.

Es fragt sich nur, ob die Professionalität und Qualität der Verdolmetschung bei solchen ungünstigeren Einkommensbedingungen auf lange Sicht überhaupt stimmen können. Oder, anders formuliert, ob qualifizierte, professionell tätige und wirklich gute Dolmetscher vielleicht nicht lieber in anderen, lukrativeren Dolmetschbereichen arbeiten würden.

Seminar Dolmetschen für die Polizei in Köln
Seminar Dolmetschen für die Polizei in Köln

Angaben zur Veranstaltung

Veranstaltungsarteintägiges Seminar in deutscher Sprache
Bezeichnung„Dolmetschen für die Polizei“
VeranstalterBDÜ Landesverband Nordrhein-Westfalen
Leitung / ReferentenDr. Holger Nimtz
Datum25. September 2020 10:00 bis 18:00 Uhr
VeranstaltungsortStadthotel am Römerturm • Sankt-Apern-Str. 32 • 50667 Köln
Themenübersicht• Überblick über die Organisation der Polizei im Land Nordrhein-Westfalen
• Unterschiede zwischen Schutz- und Kriminalpolizei
• Aufgaben der Polizei
• Vernehmung, Befragung
• Typische Formulare der Polizei: Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung, Durchsuchungs- und Sicherstellungsprotokoll
• Formulierungshilfen für die Belehrung durch Polizeibeamte
• Spezielle Dienstleistungen: Telekommunikationsüberwachung (TKÜ)
Fabio Said, Portugiesisch-Übersetzer
Über den Autor
Fabio Said
Fabio Said ist staatlich geprüfter Übersetzer und Dolmetscher für Portugiesisch im Finanz- und juristischen Bereich, qualifiziert auch in Großbritannien und Brasilien. Seit 1993 im Geschäft. Autor von Fachpublikationen zum professionellen Übersetzen. Allgemein beeidigter Gerichtsdolmetscher und öffentlich bestellter Urkundenübersetzer in Deutschland mit Expertenkenntnissen der deutsch-brasilianischen Bürokratie und Hunderten positiven Kundenrezensionen.
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LINGUA BRASILIS ÜBERSETZUNGSBÜRO FABIO SAID

Lingua Brasilis ist ein deutsches Übersetzungsbüro für Portugiesisch mit Brasilien-Fokus. Spezialisiert auf juristische Inhalte und auf die deutsch-brasilianische Bürokratie. Es bietet Notariats- und Gerichtsdolmetschen sowie Übersetzung von Urkunden für ganz Deutschland – von Sylt bis nach Füssen.

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